Historie
Stadtgeschichte seit über 100 Jahren von der SPD beeinflusst
In Jahr 2007 wurde unsere kleine Marschenstadt Wilster 725 Jahre alt. Dieses Jubiläum wurde schon groß gefeiert. Wir meinen, dass dieser Geburtstag auch eine gute Gelegenheit ist, um an die lange Geschichte der Wilsteraner Sozialdemokratie zu erinnern.
Die SPD wurde 1869 als Sozialdemokratische Arbeiterpartei von A. Bebel und W. Liebknecht in Eisenach gegründet. 1878 - 90 war sie durch das Sozialistengesetz verboten. Die Partei arbeitete im Untergrund und trat 1890 als SPD bei Wahlen auf. Das genaue Gründungsdatum der Wilsteraner Sozialdemokratie ist nicht bekannt. Das liegt daran, dass am 8. Mai 1933 in der früheren Gaststätte (SPD-Parteilokal) des Großvaters von Helmut Jacobs zwei SPD-Schränke und ein Aushangkasten von Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. Am 10. Mai 1933 gab es Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von SPD-Unterlagen bei Markus Tiedemann, Otto Führer, Hans Prox, Franz Hinrichs, Nikolaus Nottelmann und bei Heinrich Heutmann. Diese Unterlagen sind nie wieder aufgetaucht und vermutlich von den Nationalsozialisten vernichtet worden. Allerdings besitzen wir noch die alte Wilsteraner Ortsvereinsfahne, die Hermann Führer vor den Nazis versteckt und sie somit über das "1000-jährige Reich" hinaus gerettet hatte. Hermann Führer war Hausmeister der Mittelschule und nach dem Krieg viele Jahre unser Kassenprüfer.
Wir Sozialdemokraten können behaupten, dass wir das ganze vorige Jahrhundert die Politik dieser Stadt mit geprägt haben und ausschließlich zum Wohle dieser Stadt tätig gewesen sind. Es gibt Hinweise, dass es die SPD in Wilster bereits im 19. Jahrhundert gab. In einem Zeitungsbericht ist nachzulesen, dass sich 1895 ein "Arbeiterbildungsverein" gründete, der vermutlich bereits bei der Gründung 178 Mitglieder hatte und bald auf 280 anwuchs. "Der Verein, dessen Mitglieder durchweg der sozialdemokratischen Partei angehören, beschäftigte sich ausschließlich mit der Einberufung sozialdemokratischer Versammlungen und Erörterung politischer Tagesfragen." Ein Jahr später entstand der Sängerbund "Philomele", der es sich vorgenommen hatte, die "Bildung der Mitglieder durch Gesang, theatralische Aufführungen und deklamatorische Vorträge" zu stärken. Dieser Verein wurde als "geschlossene Gesellschaft" registriert, deren"... Mitglieder ... fast ausnahmslos der Sozialdemokratie angehörten." Weiterhin ist nachzulesen, dass es 1899 während des großen Lederarbeiterstreiks drei SPD-Stadtverordnete gab. 1902 wurde ein "Sozialdemokratischer Wahlverein für Wilster und Umgebung" gegründet, der sich für "die geistige und materielle Hebung und Bildung seiner Mitglieder auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet" einsetzte. Auf der Versammlung am 14.12. 1902 mit rund 130 Teilnehmern sagte ein Redner, dass Wilster wieder das werden müsse, was es früher einmal war - die Hochburg der Sozialdemokratie. Umfangreiche sozialdemokratische Aktivitäten vor 1900 gab es in der Vereinsstraße. In der Nortorfer Chronik heißt es: "Die neue Vereinsstraße (1896 gegründet) entwickelte sich zu einem Zentrum kommunistischer und vor allen Dingen sozialdemokratischer Aktivitäten, nicht allein für die kleine Gemeinde Nortorf, sondern für die ganze Umgegend. Besonders die Stadt Wilster hat immer wieder fruchtbare Signale und Anstöße von klugen und emanzipierten Köpfen aus der Vereinsstraße empfangen."
Lange vor der so genannten Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 hatten die Nazis in Wilster schon das Ruder übernommen: Der berüchtigte Nationalsozialist Dietrich Klagges wirkte von 1918 bis 1926 in Wilster als Mittelschullehrer. Er brachte es in der NSDAP bis zum Ministerpräsidenten von Braunschweig. Vorher war er Braunschweigscher Innen- und Volksbildungsminister. In dieser Funktion machte er 1932 Hitler zum Beamten der Stadt Braunschweig. Mit dieser Ernennung wurde der staatenlose Hitler gleichzeitig deutscher Staatsbürger und seine Kandidatur zu Wahlen - zunächst 1932 zur Reichspräsidentenwahl - wurde damit ermöglicht. In Wilster hatten die Nazis schon bei der Reichstagswahl im Mai 1928 - vor der so genannten Weltwirtschaftskrise - einen Stimmenanteil von fast 26 Prozent, während der NSDAP-Anteil in Schleswig-Holstein erst bei 4 Prozent lag. Unmittelbar nach der Machtergreifung gab es in Wilster nahezu täglich Fahnenverbrennungen und Hausdurchsuchungen. Am 8. März 1933 wurde der Maurer und SPD-Stadtverordnete Hans Prox auf dem Wilsteraner Marktplatz festgenommen. Er sollte Material bei sich geführt haben, das die "Sicherheit des NS-Staates" gefährdete. Gegen 14 Uhr kam er erst einmal wieder frei, um in späteren Jahren wieder verhaftet zu werden. Im Juni 1933 wurden die Arbeiter und Sozialdemokraten Hermann Krüger vom Rumflether Deich und Friedrich Landsberger aus der Vereinsstraße von Nazis festgenommen und unter Trompeten und Fanfaren durch Wilster getrieben. Sie mussten dabei ein Schild um den Hals tragen, auf dem es hieß: Ich bin ein Betrüger an der Stadt Wilster und am deutschen Volk. Willkürliche Verhaftungen (die so genannte Schutzhaft) von Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftlern und Andersdenkenden; öffentliche Demütigungen, Verhöre, Gewalttaten und Isolation waren Mittel der Nazis, die politischen Gegner zu verfolgen. Am Ende stand der Tod im Konzentrationslager des Zeugen Jehovas Heinrich Bielenberg am 24.02.1940 im KZ Sachsenhausen und des Sozialdemokraten Hans Prox am 03.02.1945 im KZ Neuengamme.
Nach Hans Prox hat man später in Wilster eine Straße benannt. Während der zwölf Jahre Nazi-Diktatur, in denen die SPD verboten war, gab es natürlich heimliche Aktivitäten. Beweis dafür, dass es zahlreiche aktive Sozialdemokraten vor 1933 gab und diese auch nach dem "1000jährigen Reich" der SPD treu blieben, sind die vielen Ehrungen für fünfzigjährige Mitgliedschaft von Parteigenossen. Hier sind die Namen Paul Endorf, der bereits 1905 SPD-Mitglied wurde, Karl Goldmann, Franz Jonigk, Wilhelm Bunge, Franz Hinrichs, Karl Bruhn, Wilhelm Glindmeyer, Ernst Albers, Helene Albers, Heinrich Schacht, Heinrich Jacobs, Niklaus Nottelmann und Willi Reckmann zu nennen.
Der Sozialdemokrat Heinrich Büttner wurde 1945 von den Engländern zum kommissarischen Bürgermeister ernannt. Die Sozialdemokraten hatten bei allen Kommunalwahlen bis 1974 die meisten Stimmen. In der Ratsversammlung saßen 7 sozialdemokratische Abgeordnete 10 Abgeordneten der bürgerlichen Parteien wie DP, FDP, CDU, DRP oder BHE gegenüber. Die CDU stellte zunächst mit dem Kaufmann Muusfeldt, später mit dem Malermeister Huusfeldt und kurz mit dem Versicherungskaufmann Uwe Schöne den Bürgervorsteher. 1978 stellte die SPD 6, die CDU 7, die Grüne Liste 3 und die FDP 1 Abgeordneten. Die Grüne Liste war aus der AKW-Bewegung gegen Brokdorf entstanden. Sie bildete mit der SPD in der Ratsversammlung eine Mehrheit. Es gab zwar eine rot-grüne Mehrheit, aber die CDU stellte als stärkste Fraktion - das war neu in der Kommunalverfassung - mit Peter Reese den Bürgervorsteher. 1982 gab es aufgrund der bundesweiten schlechten Stimmungslage für die SPD eine knappe bürgerliche Mehrheit. Die CDU erhielt mit Hilfe der FDP alle wesentlichen Funktionen. Peter Reese wurde erneut Bürgervorsteher und Hans-Joachim Kühl löste Helmut Jacobs als 1. Stadtrat ab. 1985 wurde Ingrid Dusch Bürgervorsteherin. 1986 wurde die SPD stärkste Fraktion, hatte mit der grünen Liste die absolute Mehrheit und stellte mit Lisa Martens erstmals die Bürgervorsteherin. 1990 traten die Grünen nicht mehr an und wir Sozialdemokraten erreichten mit etwas über 50 % der Stimmen die absolute Mehrheit. Lisa Martens hatte aus Altersgründen (sie war über 70) nicht mehr kandidiert und Helmut Jacobs wurde erstmals Bürgervorsteher. Hans Dieter Hilgers wurde 1. Stadtrat und Reinhard Bunge Fraktionsvorsitzender.
1993 nutzten wir auch die Chance und wählten einen sozialdemokratischen hauptamtlichen Bürgermeister. 1994 verteidigte die SPD diese absolute Mehrheit und baute sie auf 54 % aus. Helmut Jacobs wurde erneut einstimmig zum Bürgervorsteher gewählt. Hilgers blieb 1. Stadtrat und wurde Fraktionsvorsitzender. 1998 erreichten wir Sozialdemokraten sogar über 60 % und gewannen einen Sitz dazu. So dass die Sozialdemokratie in Wilster aufgrund ihres sehr guten Erscheinungsbildes eine satte Mehrheit von 10: 7 hatte. Helmut Jacobs wurde erneut einstimmig Bürgervorsteher, Dieter Hilgers blieb 1. Stadtrat und Reinhard Bunge wurde erneut Fraktionsvorsitzender. Die Kommunalwahl 2003 war aus unserer Sicht eine Katastrophe. Während die CDU 55,8 % der Stimmen errang, verlor die SPD fast 18 % und fiel auf 44,2 % zurück. Wegen der politischen Großwetterlage waren viele Menschen nicht zur Wahl gegangen. Die Wahlbeteiligung betrug nur 56,8 %. Für die unbeliebte Bundespolitik von Gerhard Schröder wurden die Sozialdemokraten an der Basis abgestraft. Überall im Lande hatten die Sozialdemokraten schwere Verluste hinzunehmen. Seit dieser Wahl gibt es keinen sozialdemokratischen Bürgervorsteher mehr in ganz Schleswig-Holstein. Auch der Kreistagsabgeordnete Manfred Schmiade verlor seinen Wahlkreis. Die CDU errang alle 27 Wahlkreise in Steinburg. Nach dem Kriege gab es eine rege Ortsvereinsarbeit. So zählte der Ortsverein 1954 113 Mitglieder und auf den Versammlungen waren in den 50er Jahren immer zwischen 30 und 40 Mitglieder anwesend. Das Lokal von Heinrich Jacobs war bis 1968 Parteilokal. Die Gaststätte wurde dann verpachtet und der Ortsverein tagte künftig im Gasthof "Zur Linde" mit den Wirten Ali Pech und Rudi Ehlers, später auch in der Bahnhofsgaststätte bei Hermann Bürger und seit vielen Jahren in der "Neuen Börse" bei Familie Schober.
Die Vorsitzenden waren Theodor von Holdt, Gerhardt Kendelbacher, Helmut Jacobs, Uwe Martensen, Hans Dieter Hilgers, Uwe Watzlaw, Manfred Schmiade und Natascha Böhnisch. Seit 2020 ist Peter Dunkel unser Vorsitzender.
(Stand: Oktober 2021)